Portrait von Kathrin 2

 

Hilfe – ich bin elektrosensibel!!

 

Sehr geehrte Frau Bundesrätin Sommaruga

Heute ist mein 60. Geburtstag! Ich feiere diesen grossen Tag im kleinen Kreis, weil der Bundesrat diesbezüglich Einschränkungen angeordnet hat, zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung, wie er sagt. Seit meinem 30. Lebensjahr - also genau mein halbes Leben lang - bin ich elektrosensibel und versuche, meinen Alltag mit dieser schwerwiegenden Beeinträchtigung zu meistern. Ich gelange heute an Sie, stellvertretend für immer mehr Menschen in unserem Land, die ebenso wie ich unter der bald allgegenwärtigen Strahlenbelastung aus Mobilfunk leiden. Es versteht sich von selber, dass ich weder ein Handy noch WLAN benutze.

Seit 22 Jahren „Strahlenflüchtling“ im eigenen Land

 

In den letzten 22 Jahren musste ich fünfmal meinen Wohnort aufgeben wegen gesundheitlicher Beschwerden und Schlaflosigkeit als Folge von Mobilfunkstrahlung aus Antennen in der Nachbarschaft, dies weit unterhalb der Schweizer Anlagegrenzwerte. Bereits mit 36 Jahren schied ich wegen meiner Elektrosensibilität aus dem Erwerbsleben als Direktionssekretärin aus und bin seither gezwungen, für ein Recht zu kämpfen, das in dem Land, wo ich geboren und aufgewachsen bin, eigentlich selbstverständlich sein müsste, nämlich das Recht auf Unversehrtheit von Leib und Leben. Sie engagierten sich in der Vergangenheit immer wieder für Asylsuchende und notleidende Menschen, damit auch diese ein menschenwürdiges Leben führen können. Warum aber lassen Sie uns Mobilfunkgeschädigten und „Strahlenflüchtlinge“ im Stich? Warum verweigern Sie uns elementare Grundrechte?

 

Ihre Grundhaltung im Jahr 1999, vor Einführung der NISV

 

An der Arena-Sendung „Antennenstreit“ im November 1999, kurz vor Inkraftsetzung der NISV, war ich nach meiner ersten „Wohnungsflucht“ als Direktbetroffene eingeladen. Als damalige oberste Konsumentenschützerin vertraten Sie die Seite der Betroffenen und Leidenden und machten sich für tiefere Grenzwerte stark. Die Videoaufzeichnung von dieser Sendung habe ich immer noch (auf Stick in Beilage). Ihre damalige Botschaft zu vermehrtem Gesundheitsschutz überzeugte, schien sie doch von innen heraus zu kommen. Viele betroffene Menschen, so auch ich, schöpften Hoffnung, dass sie und ihre reale Not von der Politik endlich ernst genommen würden und sie endlich Unterstützung erfahren dürften. Sie setzten sich in vorbildlicher Weise dafür ein, dass man dem Gesundheitsschutz und der Gesundheitsvorsorge das Rechtsprimat einräumen muss. So sagten sie:

  • Man weiss bei diesen Grenzwerten, dass ganz viele Elemente noch nicht abgeklärt sind.
  • Es ist ein falscher Ansatz, Liberalisierung gegen Gesundheit auszuspielen.
  • Wir dürfen nicht Wettbewerb auf Kosten der Gesundheit betreiben.
  • Ich bleibe im Kontakt mit den Leuten, die betroffen sind. Wenn man ein Haus hat, wenn man nicht wegziehen kann, dann ist man unmittelbar betroffen. Dann erwarte ich, dass man verhandelt, dass man sich an einem Tisch zusammensetzt, dass man nicht einfach ein Brief schreibt.
  • Dass man über einen Baustopp diskutieren würde, wäre für mich an einem runden Tisch absolute Voraussetzung. Themen müssen offen sein, und es muss „b r e i t“ eingeladen werden.

Ihr Entscheid zu 5G und zur neuen Bewilligungs- und Vollzugsregelung mit der sogenannten „Vollzugshilfe“ stellt letztlich ein Verrat an all den Grundwerten dar, die Sie in der Vergangenheit vertreten hatten, sowie an der humanitären Tradition unseres Landes.

Die neue „Vollzugshilfe“ - Wortbruch des Bundesrates

 

Die neue „Vollzugshilfe“ ist in erster Linie eine Umgehung der Baubewilligungspflicht und eine unzulässige indirekte Erhöhung der NISV-Grenzwerte. Der Zweck dieses Regelwerks ist eine möglichst hindernisfreie Vollstreckung des Willens der Mobilfunkindustrie. Dies, obwohl mehr als die Hälfte der Bevölkerung und die meisten Unternehmen flächendeckendes 5G ablehnen.

In Ihrer Medienmitteilung vom 23.2.2021 zur neuen „Vollzugshilfe“ behaupten Sie, dass die Grenzwerte unangetastet bleiben und dass der Erhalt des heutigen Schutzniveaus sichergestellt sei, wie Sie dies eigentlich versprochen hatten. Tatsache ist jedoch, dass mit der neuen Mess- und Berechnungsmethode der Sendeleistung die Grenzwerte nur auf dem Papier eingehalten, aber in der Realität zum Teil massiv überschritten werden dürfen. Dies ist eine Irreführung der Bevölkerung und der Bewilligungsbehörden, um über den wachsenden Widerstand hinweg den neuen Mobilfunkstandard flächendeckend durchzusetzen, für den weder eine Notwendigkeit noch ein öffentliches Interesse besteht.

Wie können Sie davon ausgehen, dass die Blockade in diesem Thema nun gelöst werden könne? Der Grenzwert wird faktisch auf fast das Dreifache erhöht. Dem Volk täuschen Sie eine nicht existierende Sicherheit vor. Antennenanwohner und Smartphone-Nutzer dürfen neu mit viel mehr Strahlung belastet werden als bisher. Und was ist mit uns, den vielen elektrosensiblen und bereits mobilfunkgeschädigten Menschen in unserem Land? Mit dem geplanten, immer dichter werdenden Antennennetz ist es für uns noch schwieriger, einen Ort zum Wohnen und Überleben zu finden, der nicht mit Mikrowellen-Dauerbestrahlung belastet ist? Laut der letzten offiziellen Umfrage sind es schon über eine halbe Million Menschen, die sich als elektrosensibel bezeichnen. Wohin können wir noch fliehen? Wir sind in Not und brauchen Hilfe, Ihre Hilfe und zwar jetzt!

Biologische Gesundheitsschäden unterhalb der Anlagegrenzwerte offiziell bestätigt

 

Die BERENIS-Expertengruppe nichtionisierende Strahlen hat in ihrer Newsletter-Sonderausgabe vom Januar 2021 endlich oxidativen Zellstress und damit verbundene mögliche Gesundheitsschäden auch unterhalb der Anlagegrenzwerte zugegeben. Die BERENIS hat also zwei Dinge offiziell anerkannt:

  • Erstens treten die negativen gesundheitlichen Auswirkungen auch unterhalb der angeblich strengen Schweizer Anlagegrenzwerte auf,
  • und zweitens handelt es sich um nichtthermische, biologische Auswirkungen, die bislang entgegen der Erkenntnisse der unabhängigen Wissenschaft von den Schweizer „Fachexperten“ konsequent bestritten wurden.

Nach diesem Zugeständnis der BERENIS wäre der Bundesrat gestützt auf das Umweltschutzgesetz verpflichtet, das seit Inkraftsetzung der NISV kritisierte thermische Grenzwertmodell zu revidieren. Stattdessen tut er das Gegenteil: Er stimmt einem Nachtrag zur NISV zu, welcher eine indirekte Grenzwerterhöhung ist.

In einer Patentanmeldung gab die Swisscom bereits vor Jahren zu (Zitat):

 

«Wenn menschliche Blutzellen mit elektromagnetischen Feldern bestrahlt werden, wurde eine deutliche Schädigung des Erbmaterials nachgewiesen, und es gibt Hinweise auf ein erhöhtes Krebsrisiko.»

Swisscom-Patent W02004/075583A1 vom 24.02.2003, Zeilen 18-20

An der Verbindlichkeit dieser Aussage ändert auch die Tatsache nichts, dass die Swisscom dieses Patent inzwischen fallen gelassen hat.

Gesundheitsprimat ja, aber nicht beim Mobilfunk

Der Bund schützt das Volk vor Passivrauchen an öffentlich zugänglichen Orten und am Arbeitsplatz. Warum wird ihm der Schutz vor nichtthermischer Schädigung durch Mikrowellenstrahlung verweigert bzw. die Wahlfreiheit, wann und wie lange es sich Mobilfunk-Immissionen aussetzen will?

Im Zusammenhang mit dem Postulat Häberli-Koller gestand der Bundesrat ein, dass es den Behörden in Anbetracht der rasanten technologischen Entwicklungen gar nicht möglich sei, die aus technischer und wirtschaftlicher Sicht besten Netzwerkelemente, Netzstrukturen und Technologien zu bestimmen. Dies bedeutet letztlich nichts anderes, als dass Sie als Bundesrat zentrale Fragen bezüglich Umweltschutz und Vorsorgeprinzip immer mehr den Mobilfunkbetreibern überlassen. Die neue, massgeblich von der Mobilfunkindustrie auf ihre Interessen geprägte „Vollzugsempfehlung“ ist ein klarer Beweis dafür.

Im Zusammenhang mit Covid-19 appellieren Sie an die Bevölkerung, die Schutzmassnahmen einzuhalten, und verschiedene Wirtschaftszweige werden mit Einschränkungen geradezu drangsaliert, was für viele schwer nachvollziehbar ist. Dabei betont der Bundesrat immer wieder, dass die Gesundheit der Bevölkerung das Wichtigste sei und über wirtschaftlichen Interessen stehen müsse. Im Bereich Mobilfunk scheint dieser Grundsatz offenbar nicht zu gelten. Sie führen eine kaum erforschte neue Strahlungstechnologie ein, obwohl Sie wissen, dass bereits die bisher angewendete negative Auswirkungen auf die Gesundheit und auch auf das Immunsystem von Mensch und Tier hat. Und nun ignorieren Sie sogar die neuesten Erkenntnisse aus der aktuellen Evidenzbewertung Ihrer eigenen Expertengruppe BERENIS bezüglich nichtthermisch bedingter Gesundheitsgefahren.

Widerspruch zu den Energie- und Klimazielen des Bundesrates

Dass Mobilfunk auch einen Einfluss auf das Klima hat, wurde bislang noch kaum thematisiert. Wärmebildaufnahmen zeigen, dass Mobilfunkantennen, insbesondere adaptive 5G-Antennen, zu einer Erwärmung der Atmosphäre führen. Dies steht im Widerspruch zu den Energiespar- und Klimazielen des Bundesrates. Tatsache ist, dass insbesondere 5G auch zu einem höheren Energieverbrauch, zu mehr Endgeräten sowie zu mehr CO2 führt. Trotz allem wird immer noch behauptet, mit 5G könne nachhaltiger Umweltschutz betrieben werden.

Wachsender Widerstand gegen den weiteren Mobilfunkausbau

Was heute geschieht und welche dominante Rolle Ihnen im Bereich Mobilfunkentwicklung dereinst zukommen würde, hätten Sie sich vor 21 Jahren anlässlich der „Arena“-Sendung 1999 wohl kaum vorstellen können. Insbesondere für uns Elektrosensiblen bedeutet die gegenwärtige Entwicklung der absolute Supergau, weil wir nicht einmal in unseren privaten Wohn- und Schlafräumen Schutz vor noch mehr und noch aggressiverer Mikrowellen-Dauerbestrahlung finden.

Aufhorchen lassen müsste Sie die Tatsache, wie stark der Widerstand in der Bevölkerung seit der 5G-Einführung zugenommen hat. Derzeit sind gegen 2000 Einspracheverfahren gegen neue Antennenbaugesuche hängig. 95 % der Baugesuche werden bekämpft, und auch die verschiedenen kantonalen Moratorien sind gewiss nicht einfach die Folge sogenannter „Verschwörungstheorien“ zum Thema nichtionisierende Strahlung.

Mein Appell an Sie

 

Ein Grossteil der Menschen in unserem Land vertraute bislang darauf, dass der Bundesrat die Wahrheit sagt, aber jetzt fühlen sich immer mehr Bürger vom Bundesrat, vor allem auch von Ihnen, betrogen. Auch ich gehöre dazu. Ob Sie die zahllosen Briefe und Hilferufe, die in der letzten Zeit an Sie und an Ihr Departement gerichtet wurden, jemals erreichten? 

Das Vorsorgeprinzip schreibt vor, dass auch wissenschaftlich wahrscheinliche und nicht nur mit abschliessender Sicherheit nachgewiesene Wirkungen zu berücksichtigen sind. Es liegt nun an Ihnen als UVEK-Vorsteherin, eine Revision des Grenzwertmodells zu verlangen und sofortige Notmassnahmen für einen echten Schutz der Bevölkerung und der Natur vor Gesundheitsschäden auch aus nichtthermischen Mobilfunkauswirkungen zu ergreifen.

Mit der von Ihnen abgesegneten neuen Bewilligungs- und Vollzugsregelung stellt sich die Schweiz selber ein bedenkliches Zeugnis aus bezüglich Gesundheits-, Umweltschutz und Achtung der Menschenrechte. Ich appelliere deshalb an Sie, sehr geehrte Frau Bundesrätin, sich im Bereich Digitalisierung für die Förderung nachhaltiger Technologien und Mobilfunkarchitekturen sowie für den Ausbau des Glasfasernetzes einzusetzen.

Ich bin mir bewusst, dass Ihr Amt als Bundesrätin und oberste Schweizer Umweltverantwortliche in der jetzigen dynamischen Zeit eine grosse Herausforderung darstellt und es für Sie nicht immer einfach ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sie stehen jetzt nochmals an einem Scheideweg. Darum muss endlich auch ein „Ruck“ durch den Bundesrat gehen. Ziehen Sie dieses unhaltbare neue „Vollzugshilfe“-Regelwerk unverzüglich zurück und nehmen Sie bitte endlich auch im Bereich Mobilfunk ihre Verantwortung für den Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen wahr.

Mit den Senderbetreibern haben Sie im letzten Herbst Gespräche geführt. Bitte lassen Sie auch mich und andere Direktbetroffene endlich zu Wort kommen.

Ich vertraue auf Ihre Einsicht und freue mich, von Ihnen zu hören!

Mit den besten Grüssen

 

Briefwechsel mit Frau Bundesrätin Simonetta Sommaruga

Link zu:   Brief einer Betroffenen an Frau Bundesrätin Simonetta Sommaruga 

Link zu:    Antwortschreiben auf den Brief vom März 21 an Simonetta Sommaruga

Link zu:    Brief an Karin Schneeberger BAFU

Link zu:    Mail an Simonetta Sommaruga 17.07.2021